Erfahrungsbericht
Nelli R. erzählt:
«Ich arbeite als Färberin in der Färberei Alchemilla in Oberhofen und bin stolz auf meinen Beruf. Mein Wohnort ist Thun, ich lebe dort in der Wohngemeinschaft Alchemilla. Aufgrund meiner autistischen Störungen bin ich auf ständige Begleitung angewiesen. Ich kann nicht sprechen und habe keinen Zugang zur Gebärde. Mit gestützter Kommunikation kann ich mich aber sehr wohl ausdrücken.
Als Mitbegründerin der Alchemilla bin ich eine Verfechterin der Selbst- und Mitbestimmung und unterstütze den Wechsel von der Objekt- zur Subjektfinanzierung sehr. Ich erlebte die Umstellung als mutiges Abenteuer. Nicht alles, was in der Theorie angedacht gewesen war, liess sich im praktischen Alltag so umsetzen. Es brauchte Anpassungen, sei es im Abrechnungsverfahren oder bei der Erfassung des behinderungsbedingten Unterstützungsbedarfs.
Die Erfassung war anstrengend, da ich meine Antworten tippen musste. Ich fühlte mich ernst genommen und stellte bei den involvierten Stellen eine grosse Bereitschaft fest, das Verfahren laufend zu optimieren. Ich bin glücklich über die bisherige Zusammenarbeit.
Dank des neuen Systems kann ich meinen Freunden, mit denen ich zum Teil Wochenende und Ferien verbringe, endlich auch im finanziellen Bereich etwas zurückgeben. Früher rechnete die Alchemilla übers ganze Jahr ab und bezahlte eine Ferienplatz-Entschädigung. Heute bin ich mit Unterstützung meiner Beiständin eine Arbeitgeberin und bezahle die Begünstigten direkt – zu einem realistischeren Preis.
Heute verfüge ich über praktisch dieselbe Selbstbestimmung wie chronisch normale Mitbürger. Ich könnte jetzt mein Leben ganz anders gestalten und hätte die finanziellen Mittel dazu. Aber das will ich nicht, das Leben stimmt für mich, da will ich nichts verändern – Alchemilla ist meine Heimat.»
*Nelli R. nimmt am Pilotprojekt zum neuen Berner Modell teil. Sie ist 50 Jahre alt, lebt in der Gemeinschaft Alchemilla in Oberhofen und Thun. Sie kann nicht sprechen und hat Autismus-Spektrum-Störungen. Nelli R. beschäftigt sich gerne mit Musik hören, Reisen, mittels gestützter Kommunikation interessante Gespräche führen, Tagungen besuchen, Vorträge halten und Beziehungen pflegen.
